segunda-feira, 25 de junho de 2012

Fußballkolumne von Detlev Claussen

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Fußballkolumne von Detlev Claussen

II. Oskars Club

Über Fußball wird viel Mist erzählt. Auch und gerade von Intellektuellen, die über Fußball reden, ohne zu analysieren, was auf dem Platz geschieht. Das gibt dem im Fußballbusiness weitverbreiteten Antiintellektualismus Futter. Adi Preisslers erkenntnistheoretische Ruhrpott-Maxime, die von Otto Rehhagel gern zitiert wurde, „Die Wahrheit iss´ auf´m Platz“ richtet sich gegen Ballhoo- Stimmungsmache, Großsprecherei vor dem Spiel und Schlaumeierei auf den Rängen. Umso erschütternder ist es, wenn kluge Leute keine Analyse des gespielten Fußballs betreiben, sondern nur ihren Gefühlen beim Zuschauen Ausdruck geben. Wer die Frankfurter Schulbank in den 50er und 60er Jahren gedrückt hat, als die Philosophische Fakultät der Goethe Uni noch nicht in einen linguistischen Turnübungsplatz verwandelt worden war, musste lernen, dass Kritik ihr Ziel verfehlt, wenn sie nicht aus der Sache selbst entwickelt wird, sondern der Kritiker über der Sache zu stehen vermeint. Zum Grundwissen der Kritischen Theorie gehört Adornos vernichtendes Diktum über den gescheiterten Versuch seines Mentors Kracauer, eine „soziale Biographie“ Jacques Offenbachs zu schreiben: „Offenbach ohne Musik geht nicht!“
In der letzten Wochendausgabe der taz redet sich der nach eigenem Selbstverständnis „politische Intellektuelle“ Oskar Negt um seinen kritischen Kopf und Kragen, wenn er die EM zu den „unterhaltenden Verdrängungsleistungen“ rechnet. Wenn man „panem et circenses“ kritisieren will, kann das doch nicht heißen, man soll kein Brot mehr essen und keinen Spass mehr am Zirkus haben. Ohne Spielanalyse regrediert kritische Gesellschaftstheorie zum kulturpessimistischen Räsonnement, das im spielerischen Konkurrenzkampf von Nationalmannschaften eine Vorstufe des Krieges erblickt und die Kommerzialisierung als gesellschaftszersetzendes Teufelswerk beklagt. Schimpfen auf Kommerz verkürzt die Kritik der Kulturindustrie auf ein Ressentiment gegen cheap thrills – ein Oskars Club für Intellektuelle, die sich über Leute mokieren, die Spass und nicht ernsthafte Hochkultur haben wollen – letzte Nachwehen bildungsbürgerlicher Vorurteile gegen english sports.
In der Tat: Fußball ist im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Ware geworden; aber wie Kultur ist auch Fußball eine „paradoxe Ware“. Ohne das Zur-Ware-werden der bürgerlichen Kulturprodukte im 19. Jahrhundert wäre es nie zur Emanzipation der Künstler von den aristokratischen Auftraggebern und zur Vorstellung autonomer Kunst gekommen; ohne die Professionalisierung des Fußballs wäre er nicht für Proletarier, Migranten und Außenseiter eine bevorzugte Möglichkeit geworden, weltweit am öffentlichen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Erst seit der DFB erkannt hat, dass alle, die in Deutschland Fußball spielen, potentiell auch Nationalspieler sind, wird die nationale fußballerische Organisation der gesellschaftlichen Realität einer ethnisch heterogenen Gesellschaft gerecht. Wer da über Nationalmannschaften als „bunte Völkermischung“ räsonniert, hat nicht nur den Fußball nicht verstanden, sondern versteht auch die Gesellschaft, in der er gespielt wird, nicht mehr.

Frankfurt am Main 25. 06. 2012

I. Mit Kopf gespielt

 
 
Über Fußball wird viel dummes Zeug geredet. Martin Walser hat einmal gesagt, es gäbe noch etwas Dümmeres als Fußball, nämlich Nachdenken über Fußball. Lothar Baier hat einmal über Martin Walser gesagt, er denke mit dem Herzen und fühle mit dem Kopf. Das war ein Treffer. Intellektuelle Verachtung des Fußballs gehört zur unseligen Tradition des deutschen Bildungsbürgertums, das es für ein Privileg hielt, von praktischen Dingen nichts zu verstehen: Vorurteil aus Ahnungslosigkeit. Frauen, die stolz darauf sind, keine Ahnung vom Fußball zu haben, sind die letzten Tempelhüterinnen der Fußballverachtung. Aber sie werden immer weniger. Der Fußball hat in der Tat nach dem Ende des 20. Jahrhunderts weltweit die Massen ergriffen … und das ist auch gut so; denn Fussball ist ein schönes leidenschaftliches Spiel, bei dem jeder mitmachen kann – spielend oder zuschauend. Kein Bildungsprivileg muss überwunden werden, um Freude am Spiel zu haben; aber man hat mehr vom Spiel, wenn man seinen Kopf benutzt.
Man hat auch mehr vom Reden über Fußball, wenn man etwas vom Fußball versteht. Leider wird über Fußball auch viel dummes Zeug geschrieben, weil viele Leute, die über Fußball schreiben, keine Interesse am Spiel haben. Das Viertelfinale Griechenland gegen Deutschland wurde von vielen Printmedien „hochsterilisiert“, wie Bruno Labbadia diese Technik in schöner Fehlleistung auf den Punkt gebracht hat, zum Kampf um den Euro, zur Abwehrschlacht gegen die deutschen „Panzer“, während „BILD“ auf alle Griechen als weißblaue Tavernenkellner herabschaut. Wenn es etwas gestern zu sehen gab, dann war es der epische Kampf zwischen effektivem Defensivspiel und risikoreichem Angriffsspiel. Die Anhänger des schönen Spiels, des Jogo bonito, wie es die Brasilianer nennen, haben gestern 4:2 gewonnen – wirklich ein Grund zum Jubeln.

Frankfurt a. M. 23. 06. 2012
Siehe auch:
Detlev Claussen

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